Ausgabe Nr. 2345
>
Alexandru Ilinca und (s)ein vom Aussterben bedrohter Beruf
„Wusstest du, dass man nach dem Zweiten Weltkrieg Bundschuhe aus Autoreifen herstellte? Schau mal, da steht seitlich 'Victoria´ drauf und auf der Sohle ist noch das Profil des Autoreifens zu sehen.“ Alexandru Ilinca zeigt einen alten ledernen Bundschuh, der tatsächlich aus einem alten Autoreifen entstanden sein muss. Ilinca ist Bundschuhmacher, auf rumänisch „opincar“, ein vom Aussterben bedrohter Beruf, den er von seinem Vater gelernt hat.
Der in Orleşti geborene Sechzigjährige spricht gerne mit Menschen und erklärt ihnen, wie man eine „opincă“, einen Bundschuh (auch Opanke genannt) anfertigt. „Alles was ich dafür verwende, kommt aus der Natur“, sagt er stolz, während er die Schnürsenkel (rum. nojițe) aus zartem Leder aus einem Lederfleck zurechtschneidet. Er schneidet den Senkel spiralförmig, so muss er weniger Material verwenden, ein Trick, den er von seinem Vater Gheorghe Ilinca gelernt hat. Danach zieht er die Schnur gerade. Das Leder kommt aus Italien, denn in Rumänien ist es zu teuer und er könnte keinen Profit mehr machen.
In Râmnicu Vâlcea hat Alexandru Ilinca eine Werkstatt, in der er Bundschuhe und Pelzmützen anfertigt. Stolz erzählt er davon, dass er an Chinesen und Amerikaner verkauft hat. Vor seiner Werkstatt hängt ein in Holz geschnitztes Schild, auf dem mit großen Buchstaben „OPINCĂRIE“ steht.
Der Bundschuhmacher hat viele Geschichten auf Lager. „Nach dem Zweiten Weltkrieg dachten die Russen, dass man hier mit den Motorrädern hüpft und nicht fährt“, erzählt Ilinca schmunzelnd „da auf dem Boden keine kontinuierliche Reifenspur zu sehen war, sondern nur im Abstand von halbem zu halbem Meter. Sie dachten, wir hätten so etwas wie Roboter hier. Dabei waren es nur die Bundschuhe, die diese Spur hinterließen“. Ob Legende oder nicht, das weiß er selber nicht. Aber die Geschichte an und für sich ist urkomisch, das muss man zugeben. Eine weitere Legende besagt, dass die Schneeketten für Autoreifen dadurch entstanden sind, dass rumänische Bauern im Winter über ihre Bundschuhe mit glatter Sohle Ketten banden, um nicht auf Schnee oder Eis auszurutschen. Die Automobilhersteller hätten ihnen die Idee abgeguckt und Schneeketten entwickelt.
Zuhause hat Alexandru Ilinca eine Sammlung von über 50 Bundschuhen, die meisten sind getragen worden. „Das älteste Paar ist 140 Jahre alt. Die Schuhe sind aus Rindsleder und ich habe sie einem alten Mann aus der Gegend von Horezu abgekauft, der sie von seiner Großmutter als Erinnerung aufbewahrte.“
40 Jahre lang hat Ilinca als Schneider gearbeitet. „Ich bin oft auf traditionelle Bauernmärkte gegangen und da habe ich gemerkt, dass es überall traditionelle rumänische Kleidung zu kaufen gab, aber nirgends Bundschuhe, um die Tracht komplett zu machen. Also habe ich meinen Vater gebeten, mir alles über die Bundschuhmanufaktur beizubringen“.
Am vergangenen Wochenende war Alexandru Ilinca im Freilichtmuseum anzutreffen, wo er bei der 30. Auflage des Jahrmarkts der Handwerke sein Können live unter Beweis stellte. Etwa 200 Handwerker aus allen Regionen des Landes stellten ihre Ware an den Alleen des Freilichtmuseums aus, darunter waren Töpfer, Bildhauer, Schneider, Korbflechter, Maler, Puppenmacher oder Musikinstrumentebauer.
Cynthia PINTER
Foto: Alexandru Ilinca übt einen vom Aussterben bedrohten Beruf aus: Er stellt Bundschuhe, auf Rumänisch „opinci", her. Am Wochenende konnte man ihm im Freilichtmuseum bei der Arbeit zusehen. Mehr dazu auf Seite 5. Dass der Mirel Magop aus Vatra Dornei, der am 7. August d. J. auf den Spuren des legendären Badea Cârțan zu Fuß und in Bundschuhen aus Cârțişoara nach Rom aufgebrochen ist, Bundschuhe aus der Werkstatt Ilincas mit im Gepäck hat, ist nicht ausgeschlossen.
Foto: Cynthia PINTER