Gelungene Kritik

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Ausgabe Nr. 2334
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Zur Vorpremiere des Theaterstücks „Solitaritate“ 

  Nichts geht über ein gutes Theaterstück am Wochenende. Vor allem, wenn man auf Schlechtes gefasst ist – man ist als Mensch doch beeinflussbar – und ein erstklassiges Theater bekommt. Sicherlich kann man über Geschmäcker streiten. Die Autorin dieses Artikels spricht aus der eigenen Sicht der Dinge. Die Rede ist von der Vorpremiere des Theaterstückes „Solitaritate“ unter der Regie von Gianina Cărbunariu. Aktuell, kritisch, ironisch, subtil sind nur einige Adjektive, die das Stück allzu treffend beschreiben könnten.

   Als Enfant terrible der rumänischen zeitgenössischen Theaterszene abgestempelt, spricht Gianina Cărbunariu gerne Themen an, die schockieren, die aber so schockierend sie auch sein mögen, die krasse Realität des Landes darstellen. „Solitaritate“ erzählt fünf verschiedene Geschichten, zwar als fiktiv angekündigt, aber aus der Realität gegriffen.

Die erste Szene erzählt die Geschichte der Mauer, die eine Roma-Siedlung von der Hauptstraße in Baia Mare abgrenzt. So geschehen 2011, als der Bürgermeister der Stadt, um die Roma-Kinder „vor dem Straßenverkehr“ zu schützen, eine 1,8 Meter hohe Mauer rings um die Wohnblocksiedlung baute. Die Nachricht ging um die Welt. Auf der Bühne des Hermannstädter Radu-Stanca-Theaters wurde das Thema ins Lächerliche gezogen. Der Bürgermeister, hervorragend gespielt von Marius Turdeanu, ist von drei Stadträtinnen umgeben, eine „intelligenter“ als die andere. Den Unterschied zwischen „solitär“ und „solidarisch“ (rum.: solitar und solidar) verstehen sie nicht – daher auch der Titel des Stücks „Solitaritate“. Auf der Bühne wird nicht eine Mauer errichtet, sondern eine „Trennlinie“ gezogen, die später türkisfarben angestrichen werden soll.

Die erste Szene spricht die Diskriminierung einer ethnischen Minderheit an. In der zweiten Szene zieht ein neureiches Ehepaar über die anderen sozialen Schichten her. Sie stellen eine philippinische Tagesmutter ein, feuern sie aber  wieder, weil der Sohn sich so sehr an die Tagesmutter gewöhnt, dass er letztere öffentlich als „Mutter" bezeichnet. Vor allem der Ehemann, sehr überzeugend gespielt von Adrian Matioc, wird als korrupter und arroganter Snob dargestellt. Er ist der typische Neureiche, der seinen SUV skrupellos auf dem Behindertenparkplatz parkt und unberechtigterweise sogar einen Behindertenschein besitzt. Ganz legal natürlich. Die Szene artet in einem handgreiflichen Ehestreit aus, in dem sie ihn des Ehebruchs anklagt. Als nächstes tritt die Schauspielerin Ofelia Popii auf die Bühne und erklärt dem Publikum, dass die Regisseurin sie als philippinische Haushilfe gecastet hat. Sie könne allerdings nicht alles spielen, deswegen liest sie dem Publikum die Regieanweisungen laut vor und spielt hinterher. Diese Szene fand das Hermannstädter Publikum sehr lustig und Ofelia bewies, dass sie nicht nur dramatische Rollen großartig meistert.

Schwarzer Humor beherrschte die nächste Szene, in der die tote Schauspielerin Eugenia Ionescu (interpretiert von Mariana Mihu) mit dem Publikum aus ihrem Sarg kommuniziert und ihre Meinung über alle Trauernden am eigenen Begräbnis ausdrückt. Da ist der einzige Sohn, der die Grabstätte seiner eigenen Mutter für 20.000 Euro verkaufen will; der orthodoxe Pfarrer, der während der Predigt um Geld für den Bau der Kathedrale der Erlösung des Volkes (Catedrala Mântuirii Neamului) bettelt; die Schauspielkolleginnen, die sich schon insgeheim auf die Rollen der Verstorbenen freuen.

Die letzten beiden Szenen drehen sich um das Leben eines dreijährigen Mädchens und den Kampf seiner Eltern um jeden Leu für die lebensrettende Operation. Der junge Vater (gespielt von Ali Deac) ist Taxifahrer und verkauft das ganze Hab und Gut der Familie an Freunde und Nachbarn, nimmt Kredite auf, um das Leben seiner Tochter zu retten. Damit wird das Thema der Verschuldung in Rumänien direkt angesprochen.

„Solitaritate“ ist ein sehenswertes Theaterstück, eine gelungene Kritik an die heutige rumänische Gesellschaft. Aktuelle Themen werden unverblümt in Szene gesetzt.

Cynthia PINTER

Foto: Die verstorbene Diva (Mariana Mihu) greift ein in ihre eigene Trauerfeier, bei der sich u. a. eine Theaterkritikerin (Ofelia Popii, links) und eine der Kolleginnen der Verstorbenen (Cristina Ragos, rechts) regelrecht in Szene setzen.                                                                        

Foto: Cynthia PINTER

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kultur.